Inhalt
Das
kämpfende Heer
Rechts
des Waldweges, der von Schüling-hausen
über die Schanze nach Haspe führt,
ist der Wald von tiefen Gräben durchzogen.
An einigen Stellen liegen vier, fünf
und sechs hintereinander; manchmal verschwinden sie, kehren
aber nach
einiger Zeit
wieder. Diese Gräben sind uralte Landwehren oder Wall-gräben, hinter die sich die Bewohner des Tales mit ihrem Vieh
und ihrer
sonstigen Habe flüchteten,
wenn Kriegszeiten in das Land kamen.
Hier soll eine mächtige
Schlacht geschlagen worden sein, und
wenn der Tag der Schlacht
wiederkehrt, kämpfen die Geister
der Gefallenen noch miteinander. Ein
Wanderer, der seinen Weg in einer sternhellen Nacht hier vorbei nehmen mußte, hat
das Geisterheer kämpfen
gesehen. Von einer langen, angestrengten Wanderung ermüdet und hungrig geworden, setzte er sich auf einen alten
morschen Baumstumpf nieder, um sich auszuruhen und feinen Hunger zu stillen. Es
war um Mitternacht; da erhob
sich plötzlich mächtiger Sturm. Die Zipfel der Bäume rauschten, und dicke Zweige fielen knackend zur Erde. Dunkle
Schatten
huschten
durch das Tal; aber
in und auf den alten Wallgräben entstand ein heller Schein. Unter lautem Krachen
und furchtbarem Getöse
taten sich die Gräben auf, und ein
wildes Geisterheer stieg heraus. Bärtige,
kühn
ausschauende, mit Steinkeulen und Schwertern bewaffnete Krieger kämpften mutig und wild miteinander. Furchtbare
Schlachtrufe erklangen,
und die im Kampfe getöteten
Männer sanken
ächzend
und stöhnend
in die Erde, während
sich die dadurch entstandenen Lücken sofort wieder auffüllten.
Der furchtbare Kampf des Geisterheeres dauerte bis zur Beendigung der
Geisterstunde;
dann versank
alles unter Brausen und Waffengeklirr in die Erde, und der helle Schein war verschwunden.
Karl Wehrhan "Westfälische Sagen"
Leipzig 1934
Die arme Jägersbraut
An der Lippe bei Dorsten im
Kreise Reckling-hausen stand ein Bauernhaus, das dem Klaus Görbeck gehörte, der
eine fromme Nichte als Magd hatte, die
fleißig zur Kirche ging.
Da kam eines
Tages
ein Knecht ins
Haus und fragte, ob der Bauer
ihn nicht zur Arbeit gebrauchen könnte. Sein linker Fuß
war etwas
unförmlich, und darum hinkte er auf dem linken Beine. Der Bauer fragte, woher
das käme. Da antwortete der Knecht,
er hätte sich in der Jugend einen Dorn in den Fuß getreten, das Bein hätte
sich entzündet und der Fuß wäre
so unförmlich geblieben. Der Bauer war mit der Auskunft zufrieden, zumal der
Knecht tüchtig arbeiten konnte; bald hatte er ihn
sogar ins Herz geschlossen, gab ihm mehr Lohn als den andern
und ernannte ihn zum Großknecht.
Der Bauer war auch Vormund der bei ihm dienenden
neunzehnjährigen Nichte, die der Teufel - denn niemand
anders war der
Knecht -
wegen
ihrer Frömmigkeit und Schönheit ganz besonders zu verderben suchte.
Eines Tages ging er zum Bauern und sagte ihm, er müßte ihn in einer wichtigen Angelegenheit
auf der Stelle
sprechen. Der Bauer trat mit ihm in die beste
Stube und ließ zwei Krug Bier hereinbringen. Dann fing der Knecht
ohne Umstände an, er hätte die
Nichte
des Bauern gern,
ob er sie als
Braut heimführen dürfte. Der Bauer sagte ihm nach
längerer
Überlegung
zu, doch hatte sich seine Nichte zu Johanni bereits mit einem Jäger versprochen und war nicht wenig bestürzt, als sie die Nachricht von dem Bauern bekam. Noch
am selben Abend
sprach sie mit dem Knechte
über die Angelegenheit
und drohte ihm schließlich, der
Jäger
würde ihn erschießen, wenn er sie weiter belästige.
AIs der Teufel sah, daß
sie sich ihm nicht gutwillig hingeben würde,
beschloß er, es mit List zu versuchen. Am andern Tage frühmorgens war er verschwunden, ohne eine Spur hinterlassen zu haben. Gegen
Mittag kam der Jäger und verlangte
seine Braut zu sehen der Bauer ließ es zu und sagte, er solle nur in ihre
Kammer hinaufgehen. Als der Jäger
die
Treppe hinanstieg, sah der Bauer, daß er
den linken Fuß nachzog und wegen
seiner Unförmlichkeit
in einer Hülle
stecken hatte. So dachte er, der
Liebhaber wäre sein Knecht, der das Mädchen
in einem anderen Kleide zu gewinnen suchte, und war damit
zufrieden. Das Mädchen,
das oben in ihrer Kammer saß, ließt den Jäger
hereintreten, der
es freundlich begrüßte. Er nahm
am Tische Platz, streckte aber sein
Bein unter der Tischdecke aus und verbarg den Pferdefuß; dann gab er sich als der frühere Knecht zu
erkennen. Als das Mädchen
aufschrie, lief er zur Tür, schloß sie ab, faßte das Mädchen am Arm und drohte, es umzubringen,
falls es nicht einwillige, doch blieb das Mädchen
bei seiner Weigerung. Da
sagte der Teufel, er wolle es freigeben, wenn
sie ihm zu
Füßen fiele und ihn anbete. In seiner
Erregung merkte er nicht, wie er seinen
linken Fuß unter dem Tische
hervorzog, so daß das Mädchen
die Unförmlichkeit
des Fußes erkennen konnte. Es
forderte darum den Knecht auf, er
sollte seinen linken Stiefel ausziehen, und
wenn sein Fuß nicht allzu schrecklich aussähe,
wolle es den Knecht nehmen.
Der Teufel blieb jedoch dabei, er wolle den
Stiefel anbehalten und drohte, es aufzuhängen,
wenn es nicht sofort niederfiele. Weil das Mädchen
nicht einwilligte, nahm er kur-zerhand einen Strick, schlang ihn
um den Hals des
Mädchens und hing
es an der Kante eines Schrankes auf.
„Jesus" wollte das Mädchen
noch
rufen,
brachte in seinem Schrecken aber nur die Silbe "Je" heraus,
so daß der Teufel die
Ster-bende noch mit den Worten verhöhnte:
„Nun laß dir dein
Jesus helfen!" Dem Mädchen
brachen die Augen.
Leise verließ der Mörder
die Tote, kam kurz nach Mittag in seinem Knechtswams mit einem Korbe voll Fische
heim und
gab als Grund seiner Abwesenheit an, er hätte gefischt. Da die
Nichte immer oben blieb, fiel dein Bauer ein, daß
der Jäger ja längst hinausgegangen wäre. Er ging mit dem Knechte auf die
Kammer, und als er die Leiche sah,
behauptete der Knecht, das hätte der Jäger getan. Die beiden
gingen sofort zur Wohnung
des Jägers, dessen Schwester,
die ihm den Haushalt führte,
angab, ihren Bruder seit drei Tagen nicht
mehr gesehen zu haben; solange wäre er noch nie abwesend
gewesen.
Mißmutig begab sich der Bauer mit dem
Knechte auf den
Heimweg. Sie waren noch nicht halbwegs, als der Hütejunge bleich vor Angst gelaufen kam und sagte,
die
Magd wäre wieder lebendig geworden. Wie die beiden wieder in die Wohnstube
traten, saß die Nichte tatsächlich im weißen Kleide am
Tische und trank stumm ihren Kaffee. Der Bauer war starr
vor
Entsetzen und stürzte in die Kammer hinauf; aber auch da sah
er die Leiche und lief wieder hinunter, wo er das Mädchen
noch starr und stumm am Kaffeetische
fand. Nun rief er dem Knechte zu, unten
zu beobachten, während
er selbst wieder
nach oben eilte und hinunter rief
:
„Ist sie noch unten?" Dabei
sah er mit Schaudern, daß
sie noch
oben im Sarge lag.
„Ja,"
rief der Knecht,
„und
sie frißt den Tisch halb auf!" Und dann schrie
er mit einem Male:
„Sie geht mit dem halben Tische in
der Hand die Treppe
hinauf!" Der Bauer sah sie in der Tat
mit dem halben Tische die Treppe
heraufkommen, und dabei sang sie ein
christliches Lied. Der Knecht suchte sich jetzt hinter dem Bauern zu verbergen,
aber der drehte sich um, wollte ihm
etwas sagen und sah nun, wie er seinen
linken Stiefel beim Hinaufeilen auf
der Treppe
verlo-ren hatte und
der ganze Pferdefuß zum Vorschein kam. Da begriff der Bauer mit einem
male alles, während die Nichte mit lallender Totenstimme sprach:
„Er ist mein Mörder!" Er lief die Treppe hinunter
zum
Weihwasserbecken,
das am Eingange
der Haustür
hing, goß das Weihwasser in seinen Hut, schüttete
es dem Teufelsknechte
über den Kopf und bekreuzte sich dabei.
Der Knecht fuhr mit Getöse
in den Kamin hinein und zum Schornstein hinaus. Der Bauer sah noch, wie die Gestalt, die
am Kaffeetische gesessen hatte, sich zu der Leiche in den
Sarg legte und
sich mit
der
Gestalt im Sarge vereinigte. Dann rief der Bauer
den Pastor; der sah das Mädchen und sprach:
„Es
ist tot." Er segnete Leiche und Haus ein, und drei Tage später begrub
er das Mädchen.
Karl Wehrhan "Westfälische Sagen" Leipzig 1934
Der Glockenguß zu Attendorn
Eine Witwe, welche zu Attendorn im Lande Westfalen lebte, hatte
einen einzigen Sohn, und der ging in die Fremde, nach Holland, wo er treu und
fleißig arbeitete, die Mutter unterstützte und auch für sich etwas zurücklegte,
was er aber alles nach Hause zur Mutter sandte, es ihm aufzubewahren. Da kam
eines Tages mit anderen Sachen eine kleine schwarze, aber sehr schwere
Metallplatte, welches Erz die Frau, die einen kleinen Laden hielt, unter die
Bank stellte, da sie nicht recht wußte, wo sie es aufbewahren sollte, seiner
auch nicht hoch achtete. Nun traf es sich, daß die zu Attendorn wollten eine
neue Glocke gießen lassen, und da gingen Männer aus der Gemeinde von Haus zu
Haus und erbaten altes Metall, Erz, Messing, Kupfer, Zinn - alles, was gut war
zur Glockenspeise von zerbrochenen oder abgängigen Geschirren und Hausgeräten.
Und da die Witwe gerade nichts Entbehrliches von solcher Art hatte, so fiel ihr
die alte schwarze Erzplatte ihres Sohnes ein, und sie gab diese den Männern hin.
Der Glockengießer reiste bald darauf nach Arensberg, wo er auch Arbeit hatte,
indes bereitete sein Geselle zu Attendorn alles zum Guß vor bis zu des Meisters
bestimmter Ankunft, formte die Glocke und brachte einstweilen alles Erz in Fluß.
Siehe, da blieb der Meister, durch andere Arbeit verhindert, aus, und der
Geselle konnte nicht anders, als den Guß vollenden, auch war er seiner Sache
gewiß. Und das Werk gelang ganz vortrefflich, und als nun die Glocke geläutet
wurde, hatte sie einen überaus herrlichen Klang, so daß alles, und sein Werk am
meisten, den Meister lobte, obgleich selber Meister nur noch ein Geselle war.
Heiteren Sinnes gedachte dieser nun nach Arensberg zu reisen, um seinem Meister
dort zu helfen, und als er schied, da gaben ihm viele gute Gesellen das Geleite,
und hinter ihm schallte das herrliche Geläute seiner Glocke, ihm zu Dank und
Ehren. Als nun der wandernde Geselle mit seiner Geleitschaft gegen das Schloß
Schnellenberg kam, begegnete ihm auf einer steinernen Brücke zu Pferde sein
Meister, welcher schon erfahren hatte, daß der Geselle ohne ihn den Glockenguß
meisterlich vollbracht, voller Zorn und Wut, schnaubte ihn mit den Worten an:
„Was hast du getan, du Bestia !" und schoß ihm auf der Stelle eine Kugel durch
den Kopf und sprach zu den erschrockenen Geleitenden: „Der Kerl hat die Glocke
gegossen als ein Schelm, sie muß umgegossen werden!" Ritt auch stracklich, als
habe er was Rechtes vollbracht, nach Attendorn, in Absicht, die Glocke wirklich
umzugießen. Allein die Zeugen der Mordtat klagten ihn an beim Rat, und der Rat
ließ ihn alsbald festsetzen und bedeuten, es sei nicht Brauch im Reich, daß
jeder Meister an seinem Gesellen zum Scharfrichter werde, und ließ ihn befragen,
was ihn zu solcher Untat getrieben, denn ein hochweiser Rat zu Attendorn sah
klüglich ein, daß wohl mehr dahinter verborgen liegen
müsse als bloßer Zorn und Eifersucht über ein noch dazu
wohlgelungenes Werk des Gesellen. Erst fragten sie gütlich, dann peinlich und
sehr peinlich, mit eisernen Fragezeichen, als da waren Daumschrauben, spanische
Stiefeln, gespickter Hase und dergleichen, und da bekannte der Meister
Glockengießer, er habe sich so sehr verzürnt über den Gesellen, weil unter dem
eingelieferten Metall eine schwere schwarzgefärbte Goldplatte gewesen, die er,
der Meister, für sich habe wegzwacken und zurückbehalten wollen, die habe der
Geselle aus Unkunde auch mit eingeschmolzen, und davon habe die neue Glocke den
herrlichen Klang. Darum habe er die Glocke nochmals umschmelzen, das Gold
ausscheiden und sie neu gießen wollen. Mit diesem Bescheid auf seine Fragen war
der Rat zu Attendorn zufrieden und ließ dem Meister den Kopf abschlagen, dem
unschuldigen Gesellen aber auf jener Brücke ein steinernes Kreuz zum Andenken
errichten. Niemand aber konnte denken, wer in der Stadt zur Glocke eine so
kostbare Beisteuer gegeben habe. Da kehrte der Sohn der Witwe mit ziemlicher
Habe aus Holland zurück und fragte bald seine Mutter, wo sie die schwere
Goldplatte aufbewahrt habe, so er ihr gesendet. „Gold? Das war Gold?" schrie die
Witwe und wurde vor Schrecken bleich und schier ohnmächtig und bekannte mit
Zittern, daß sie das ja habe unmöglich wissen können, daß sie die schwarze
Platte hingegeben habe zum Glockenguß. Darauf sprach der Sohn: „Beruhigt Euch
nur, meine liebe Mutter! Es ist gegeben zu Gottes Ehre." Und nun erzählte die
Frau ihrem Sohne die Geschichte von dem Glockenguß und wie es dabei ergangen,
daß durch jenes Gold zwei Menschen, einer unschuldig und einer schuldig, ihr
Leben eingebüßt, daß sie aber nimmermehr haben denken können, daß aus ihrer Hand
das vielbesprochene Gold gekommen, und der Sohn sagte : „Gott hat es also
vorausbestimmt, wir wollen über den Verlust nicht klagen und nur über das
Unglück trauern, das jenes Gold geboren."
Nach langen Jahren entzündete ein Wetterstrahl den Glockenturm zu
Attendorn, und in der Glut schmolz auch die Glocke. Da ward das Erz gesammelt
und geprüft und also goldhaltig befunden, daß von seinem Wert der ganze Turm neu
gebaut und mit Blei bedeckt werden konnte.
Der Grenzsteinbauer auf dem Acker.
Ein junger Heidebauer im Kreise Ahaus hatte vor einigen Jahren den Grenzstein in
Gemeinschaft mit seinem Vater verrückt und seinem Hofe so eine Anzahl Furchen
fremden Besitztums einverleibt. Der Vater starb wenige Jahre später. Am Tage
nach dem Begräbnis zog der junge Bauer an einem nebeligen Morgen aus, um den
Acker zu pflügen. Als er den Pflug am Ende des Ackers wandte, sah er an dem
versetzten Grenzssteine einen weißhaarigen alten Mann, der einen schweren Stein
in den Armen hielt und sich mit der Last vorwärts bemühte. Als er nach einigen
Augenblicken wieder aufschaute, war die Gestalt verschwunden. Der Bauer glaubte,
der Morgennebel hätte ihn genarrt, und trieb die Pferde wieder an. Nach kurzer
Zeit vernahm er hinter sich einen leisen Schritt und die Worte: „Wer Grenzsteine
versetzt, findet keine Ruhe im Grabe." Aber kein Mensch war zu sehen, als sich
der Pflüger umschaute. Er pflügte weiter, streute das Saatkorn in die Furchen
und zog mit dem Gespanne nach Hause. Prächtig stand das Korn im Felde und
versprach hohen Ertrag. Da kam ein Gewitter und verhagelte das Feld des
Heidebauern, wogegen die angrenzenden Breiten verschont blieben. Der wütende
Bauer stieß daher schreckliche Flüche aus. Da sah er den verstorbenen Vater
krampfhaft, aber vergeblich an dem Grenzsteine rütteln und ziehen. Deutlich
hörte er die Bitte des Alten, ihm zu helfen und den Stein wieder an die richtige
Steile zu bringen, da unrechtes Gut Fluch bis zum dritten Erben brächte. Zornig
und trotzig schrie da der Bauer über das Feld, daß der Acker ihm allein gehöre
und niemals wieder andere Grenzen erhalten würde. Da war der Alte plötzlich
verschwunden, aber zugleich hob ein neues Gewitter an. Eilig flüchtete der Bauer
nach Hause; als er aber eben unter der ersten Eiche seines Hofes anlangte, fuhr
ein Blitz in sie hinein und erschlug ihn.
Der Alte in der Schwarzenburg
Oberhalb Plettenbergs im Kreise Altena
stehen auf steiler Bergeshöhe die Ruinen der alten Schwarzenburg, die lange Zeit
weit umher die Herrschaft ausübte. Selbst die Bewohner von Plettenberg waren
verpflichtet, jährlich drei Scheffel Getreide zu liefern.
Einst gingen zwei Brüder in später Abendstunde auf die Burg, um ihre Abgaben zu
überbringen, doch war die Herrschaft nicht anwesend. Sie warteten und warteten,
bis das Wächterhorn schIießlich die zwölfte Stunde verkündete. Da wurde
plötzlich ein Fenster hell, und ein Rauschen und Brausen ging durch die Räume.
Sie stellten eine Leiter ans Fenster; einer von ihnen kletterte hinaus und sah
dort einen alten Mann, der unruhig hin und her ging, bald zu den Wandgemälden
hinauf, bald zum Boden hinab blickte und schließlich an der Glocke zog. Der
hereintretende Diener erhielt von dem Herrn einen Befehl und eilte fort, kam
aber gleich wieder zurück und überbrachte ein Schreiben. Der Alte setzte sich
hin, zog ein grobes Buch hervor, blätterte hin und her und schrieb etwas ein.
Der Horcher stieg herab und ließ den andern auf die Leiter steigen; der aber
berührte mit seinem Hute unvorsichtigerweise das Fenster, und das Licht war
augenblicklich aus.
Der dicke Vogt
In alten Zeiten ließen die Grafen und Fürsten ihr Land noch durch Fronvögte
verwalten, die die Bauern oft hart bedrängten. Besonders die Säumigen wurden für
ihre Lässigkeit nicht selten hart zur Rechenschaft gezogen, wenn die Steuern und
Abgaben mit Gewalt beigetrieben wurden. Einer dieser harten Vögte war der
sogenannte dicke Vogt von Heiden im Amte Borken, der an die 350 Pfund gewogen
haben soll. Die Steuern und Abgaben wuchsen unter ihm von Jahr zu Jahr, und er
quälte seine Leute auf alle mögliche Art und Weise, wobei die Knechte auf seinen
Befehl hin nicht nur das ihnen Zustehende nahmen, sondern dabei stahlen und
raubten, was sie nur erwischen konnten.
Endlich klopfte der Tod bei dem dicken Vogte an, und die Bauern freuten sich.
Aber, o weh! Der ungerechte Vogt fand im Grabe keine Ruhe, und einige Tage nach
seiner Beerdigung fand man ihn wieder in seinem Zimmer am Schreibtische sitzen,
wo er neue Steuern und Abgaben aufschrieb. Da es dem Pfarrer des Ortes nicht
möglich war, den Umgänger in das Grab zurückzubringen, wandte man sich an einen
Pater, der den dicken Vogt nochmals in einen Sarg legen und ihn dann zuischen
Velen und Groß-Reken im schwarzen Venn begraben ließ. Aber auch dann hatte er
noch keine Ruhe; denn unwiderstehlich zog es ihn immer wieder nach Heiden
zurück. Zweimal im Jahre darf er einen Hahnenschritt näherkommen, und schon ist
er wieder bis an die „sieben Telgen" gelangt, etwa eine halbe Stunde vom Dorfe
entfernt,' an der Landstraße zwischen Heiden und Velen, wo man ihn an den beiden
bestimmten Tagen des Jahres in der Nacht von 12 bis 1 Uhr klagen und rumoren
hört. Heute noch meiden ängstliche Leute in der bestimmten Zeit die Gegend an
den „sieben Telgen".
Der grinsende Spuk
In Brackel bei Dortmund lebte einst ein junger Bauer namens Tecke, der sich gern
vom Militärdienst befreien wollte. Er wandte sich deshalb an den Bürgermeister
von Hörde, der ihm auch zu helfen versprach, wenn er ihm einen Sack voll
Kartoffeln gäbe. Der Bauer beeilte sich, sie ihm noch vor Morgengrauen zu
bringen, weil am folgenden Tage die Aushebung war, und wählte die frühe Stunde
dazu, damit ihn niemand sähe. Seiner alten Haushälterin befahl er, ihn zeitig zu
wecken; aber als die Alte wach wurde, bemerkte sie zu ihrem Schreck, daß es
schon ganz hell war. Sofort weckte sie ihren Herrn, der in aller Eile sein Pferd
sattelte, den Sack Kartoffeln darüber legte und losritt. Als er in dem Felde
zwischen Brackel und Hörde war, hörte er plötzlich die Kirchenuhr 12 schlagen
und merkte erst jetzt, daß es der Mond war, der so hell schien. Mit dem
Glockenschlage zwölf zeigte sich ein Mann, der immer neben dem Pferde herlief
und ihn angrinste. Er kannte den Mann, denn es war ein verstorbener Bauer aus
Brakel; aber anrufen konnte er ihn nicht vor lauter Angst. Als er in Hörde
ankam, lieferte er seine Kartoffeln ab und ritt nach Hause, wo er schon um drei
Uhr wieder anlangte. Er legte sich sofort zu Bett und starb einige Tage nachher
infolge der in der Nacht ausgestandenen Angst.
Der Ritter von der lsenburg
Der letzte Ritter von der Isenburg im Kreise Altena geht in seinem Burgbanne um.
Von dem Walle aus, wo ihn der rächende Arm der heiligen Feme traf, reitet er um
Mitternacht auf fahlem Rosse dahin, wo sich einst seine stolze Burg erhob, und
rennt und jagt im Kreise umher, als wollte er den Sitz seiner Ahnen wieder aus
der Erde stampfen. Erst nach zwölfmaligem Umritte steigt er ab und beugt seine
Kniee wie betend an der Stelle, wo seine Vorfahren begraben wurden und sich
heute noch eine gemauerte Gruft befinden soll. Dabei hört man ihn laut klagen
und weinen, eine verlorene. hoffnungslose Seele.
Wenn aber der Schlag der ersten Morgenstunde vom Kirchturme zu Dahle
herübertönt, dann zerstäubt das Roß des Isensburgers in Nebel, und er sinkt in
die Tiefe hinunter, um die Schätze zu bewachen, an denen sein Herz hing.
So treibt es der Isenburger zu gewissen Zeiten Nacht für Nacht, und viele wollen
ihn gesehen haben. Seit alten Zeiten schon haben die Leute nach den Schätzen des
Isenburgers gegraben, und wenn sie auch weder Spange noch Becher, weder Silber
noch Gold aus der Tiefe geholt haben, so lebt doch mancher noch immer der
Überzeugung, daß einst der Tag kommen werde, an dem die versunkenen Schätze
gehoben werden gönnen.
Die Weiße Jungfrau in EIfey
Sobald die Glocke elf geschlagen hat, sieht man in dem Dorfe Elsey in der
Grafschaft Limburg im Kreise Altena eine schneeweiß gekleidete Jungfrau, die
oben von der Meerheide kommt, wo der Galgen steht. Sie geht durch das Henkhäuser
Feld bis an das Dorf Elsey, wo sie hinter der Kirche her aus den Stiftsplatz bis
zu dem Brunnen schreitet, in den sie dann einen Eimer hinunterläßt. Wenn sie ihn
wieder nach oben gezogen hat, sieht sie geschwind hinein, gießt ihn aus, läßt
ihn von neuem hinunter und holt ihn wieder heraus. So macht sie es dreimal, bis
die Glocke aus dem nahen Kirchturme Mitternacht schlägt. Dann eilt sie seufzend
und händeringend von dem Brunnen weg, wieder hinter der Kirche her durch das
Henkhäuser Feld, bis sie aus der Rheerheide neben dem Galgen verschwindet.
Diese Jungfrau war vor vielen Jahren ein vornehmes Stiftsfräulein in Elsey, die
ihr Kind umbrachte und in den Stiftsbrunnen warf. Wie sie zum Sterben kam, holte
der Teufel ihren Leib und verscharrte ihn unter dem Galgen oben auf der
Rheerheide. Ihre Seele kann nicht eher Erlösung finden, als bis sie den Leib
ihres toten Kindes wieder hat, darum muß sie alle Nächte aus ihrem Grabe
aufstehen und den Leichnam im Brunnen suchen.
Der Mann mit dem Salze
Da, wo das schöne Lipperland mit dem Westfalenlande zu- sammenstößt, liegen auf
der Grenze zwei kleine Qrtschaften, Masch und Ahmsen, in deren Nähe die muntere
Werre fließt. Vor
vielen Jahren floß sie in einem anderen Bette, und noch heute kann man den
damaligen Flußlauf genau verfolgen.
Hier an dieser Stelle kann man an späten Herbstabenden, wenn der Nebel über dem
Werretale braut, den „Mann mit dem Salze" sehen, einen großen Mann, der einen
Sack voll SaIz auf dem Rücken trägt und drüben auf der lippischen Seite zur
Werre hinunterkeucht. Weiter hinten hört man durch den Nebel das Traben mehrerer
Pferde und das Rufen laut schreiender Männer. Dann sieht man, wie sich der Mann
einen Augenblick an dem R.ande der früheren Flußmulde verschnauft und dann im
Werredunste verschwindet. - Unterdessen hat ein kleiner Trupp berittener Männer
das Werreufer erreicht; ihre Mäntel und die Mähnen ihrer Gäule flattern im
Herbstwinde. Sie fluchen und wettern, daß ihnen der Salzmann entronnen ist. -
Wenn sie aber gewußt hätten, daß eben ein wackeres Westfalenherz im kalten
Werrewasser zu schlagen aufgehört hatte, hätten sie wohl schwerlich ein solch
gottloses Gebahren an den Tag gelegt.
Dieses Bild sehen die Bauersleute der westfälisch-lippischen Grenze noch heute
oft an nebeligen Herbsttagen, und wenn man fie fragt, was das zu bedeuten hätte,
erzählen sie folgende Ge- schichte: Es Ist schon viele, viele Jahre her, daß das
SaIz im weiten Westsalenlande knapp und sparsam war, während sie es im
Lippischen in Hülle und Fülle besaßen. Zu dieser Zeit lebte Im Lipperlande ein
Fürst, dem für das Salz kein Preis zu hoch war. Da griffen die Westfalen zum
Schmuggel. An nebel-feuchten Abenden und in dunklen Nächten gingen sie über die
Werre ins Lippische und kauften dort unter der Hand soviel SaIz, wie sie zu
tragen vermochten. Als der Schmuggel überhand nahm und der Fürst davon erfuhr,
wurde ein lippischer Grenzschutz eingerichtet, im Volksmunde „die Iippischen
Jägers" genannt. Wehe dem Schmuggler, der ihnen in die Hände fiel. Einige hatten
schon das Unglück gehabt und waren von ihrer nächtlichen Schmugglerfahrt nicht
wieder heimgekehrt. Nur einer fürchtete „die lippischen Jägers" nicht - eben
derjenige, den das Volk noch heute den „Mann mit dem Salze" nennt. Abend für
Abend ging er über den Fluß und pilgerte ins Lippische; salzbeladen kehrte er
heim.
Schließlich aber ereilte auch ihn das Geschick. Die lippischen Jäger hatten ihn
an der Grenze aufgespürt und trieben ihn wie ein gehetztes Wild vor sich her. Er
wollte die Werre er- reichen, dann glaubte er sich gerettet. in der Ferne sah er
den weißen Nebel über der Flußniederung liegen. Wenige Meter hinter ihm her
galoppierten die lippischen Jäger. Im Ietzten Augenblicke noch erreichte er das
Ufer und stürzte sich in den Fluß. Gleich darauf standen auch die Lipper oben am
Uferrande. Unten im Nebel gluckste und pIätscherte die Werre - der
Salzschmuggler aber ertrank und muß noch heute umgehen.
Der angeredete Geist
Ein Dortmunder Bürger und ein Schäfer gingen abends gegen 12 Uhr in die Wiesen,
um nach den Schafherden zu sehen, und bemerkten unterwegs eine weiße Gestalt.
Der Bürger redete die Gestalt an: „Gudden Obend, Mamsell, wat deit sei denn noch
hier?" Darauf antwortete die Gestalt: „ ,Jetzt, wo ihr beide mich angeredet
habt, müßt ihr auch meine Geschichte hören und mir in allem folgen; denn sonst
bin ich verloren und ihr beide mit mir. ach habe einst Geld vergraben, und nun
muß ich solange auf Erden wandeln, bis sich ein Mensch meiner erbarmt. Bis jetzt
hat noch keiner den Mut gehabt, mich anzureden, obschon ich bereits mehrere
Jahrhunderte darauf warte. Wie ihr an meiner weißen Kleidung seht, habe ich noch
Teil an Gott; aber der hat gesagt, wenn der erste, der mich anredet, mich nicht
erlösen will, so verfalle ich der Hölle und der Mann mit mir. Darum müßt ihr so
handeln, wie ich euch heiße!"
Nun sagte ihnen die Gestalt, wie sie es machen müß- ten: „Morgen seid um
dieselbe Zeit zwischen 12 bis 1 Uhr wieder hier, bringt einen Schiebkarren mit
und, wenn ihr Angst habt, so viele Männer, wie ihr wollt. Dann wird ein großer
schwarzer Hund auf den Schiebkarren springen; aber sobald ihr zu der Stelle
gekommen seid, wo das Geld liegt, wird er wieder verschwinden und statt dessen
das Geld auf der Karre liegen. Sobald der Hund auf die Karre gesprungen ist,
erhebt sich hinter euch das ganze Höllenheer und will euch mit lautem Gebell und
Getöse hindern. Ihr dürft euch aber nicht daran scheren, denn es geschieht euch
nichts. Wenn ihr den Hund bis zu der bestimmten Stelle gebracht habt, hört das
Getöse plötzlich auf. Dann bin ich erlöst und erlange die Seligkeit. Das Geld
aber wird euer bleibendes Eigentum sein, und ihr werdet glücklich mit ihm
werden. Tut ihr dies aber nicht, so werde ich morgen, wenn um 1 Uhr nachts der
letzte Glockenschlag verhallt ist, mit demjenigen zur Hölle fahren, der mich
angeredet hat, und zum Zeichen, daß der Mann der Hölle verfallen ist, wird er
schwarz aussehen."
In herzerschütternden Tönen flehte die Gestalt, nicht zu vergessen, was sie
ihnen aufgetragen hätte, und ihr die ewige Seligkeit zu gönnen. Am nächsten
Abend kam der Schäfer zu dem Bürger und sagte zu ihm: „ Komm, Keel, lott us
goahn!" „ Ach watt, de Mamsel es verrückt, eck goah nit!" war die Antwort. Gegen
1 Uhr erschien der Geist am Fenster und rief zu wiederholten Malen: „Et es noch
Tit, et es noch Tit!" Sobald aber die Glocke eins geschlagen hatte, war der
Bürger auf der Stelle tot und wurde schwarz wie Kohle, genau so, wie der Geist
gedroht hatte.
Der Galgengrund
Am Fuße des Mühlenberges bei Pyrmont liegt der Talmühle gegenüber der
Galgengrund, wo vor alten Zeiten der Galgen stand. Nun war vor langen ,Jahren
einmal ein ganz kleines Kind im Tale ermordet worden, was ein junges Mäd- chen
aus dem Dorfe getan haben sollte, das dafür zum Galgen verurteilt wurde. Je
näher der Tag der Hinrichtung heran- rückte, umsomehr flehte das arme Mädchen im
Gefängnis Gott um H ilf e an.
Am Tage vor der Hinrichtung machten die Schulkinder mit ihrem Lehrer einen
Spaziergang die Emmer hinaus. In der Nähe der jetzigen Talmühle hörten sie auf
einmal vom Galgen herüber eine geisterhafte Stimme ein bekanntes Sterbelied
singen, das ihnen allen so zu Herzen ging, daß sie sich vor- nahmen, es dem
unglücklichen Mädchen aus ihrem letzten Gange zu singen.
Am andern Tage war das ganze Wiesental bis zu den Bergspitzen hinauf mit dichtem
Nebel bedeckt. Langsam näherte sich der traurige Zug dem Richtplatze, von den
Kindern begleitet, die das tags zuvor gehörte Sterbelied anstimmten. Aus dem
dicken Nebel sah man das schredliche Gerüst nur undeutlich hervorragen und
ebenso einen dicht dabeistehenden vertrockneten Baum. Noch einmal betete das
unglückliche Mädchen und bat Gott, er möchte den dichten Nebel doch im
Augenblicke ihres Todes zum Zeichen ihrer Unschuld wegnehmen und den
vertrockneten Baum wieder grünen lassen, worauf sie ruhig und ergeben die Leiter
hinanstieg.
Kaum hatte sie den letzten Atemzug getan, als der Nebel plötzlich verschwand und
die Sonne ihre goldenen Strahlen über Berg und Tal sandte. Als nun auch der
vertrocknete Baum am anderen ]Morgen wieder grünbelaubte Zweige trug, waren alle
von der Unschuld des Mädchens überzeugt, und bald fand sich auch die wirkliche
Mörderin, die an demselben Galgen büßte. Sie hat aber keine Ruhe in ihrem Grabe
gefunden, sondern muß als ruheloser Geist ohne Kopf vom Galgen bis zur
Mordstätte wandern.
Witte Wiwekes verfolgen
einen Knecht
Am östlichen Ausgange der Ammeler Esch Im Kreise Ahaus, unweit der Kapelle und
dicht bei dem alten Schulzenhofe Herik liegt der „ Kaninkesbülten", von dunklen
Kiefern, schlanken Birken und mageren Eichen beschattet. In einer Höhle des
Bülken hatten die witten Wiwekes ihre Wohnung. Die Bauern der Umgegend wissen
über das Wesen und die Lebensweise der Weiberchen noch mancherlei zu erzählen.
Die witten Wiwekes zeigten im allgemeinen große Hilfs- bereitschaft. Wenn jemand
Bier brauen wollte, so lieh er sich von dem Zwergvölkchen die kupfernen Kessel,
ohne ihnen be- sonders verpflichtet zu werden. Um sich aber die Wiwekes bei
guter Laune zu halten, machten die Leute ihnen im Winter, wenn sie geschlachtet
hatten, einen Potthast, d.h. sie schenkten ihnen Proben von Speck und Fleisch
und, nicht zu vergessen, einige Würsle. Den Höhlenbewohnern fiel nach dem
Glauben der Bauern eine besondere Aufgabe zu: sie mußten nämlich die jungen
Hunde der adeligen Gutsherren an ihren Brüsten großziehen.
Böse, sehr böse wurden die Geister, wenn sich jemand erkühnte, sie zu ärgern.
Das hat einmal der Knecht des Schulzen Herik getan. Er hatte sich auf ein
schnelles Pferd geschwungen und war nach dem Bülten geritten. Kaum aber hatten
die witten Wiwekes die Herausforderung vernommen, so stürzten sie aus ihrer
dunklen Erdwohnung hervor und verfolgten den vermessenen Reiter, der auf seinem
Rosse eilig davon- flüchtete. Die Verfolger kamen ihm schon bedenklich nahe, als
er den Schulzenhof erreicht hatte. Er setzte mit dem Tiere hoch über das Heck
und mit ein paar Sprüngen auf die weite Tenne. Wutschnaubend über den Mißerfolg
rissen die Gehänkten dem Pferde im leisten Augenblike noch ein Hufeisen vom Fuße
und schIeuderten es am wettergrauen Holzgiebel empor. Der Knecht aber war
gerettet.
Witte Wiwekes halten
eine Frau zurück
Besonders gefährdet sind die jungen Mütter, solange sie ihren ersten Kirchgang
noch nicht wieder gemacht haben. Sie dürfen den Hofraum nicht verlassen, damit
die Wiwekes keine Gewalt über sie erlangen und sie in ihre Höhle mitschleifen.
Als eine Bauersfrau vor vielen Jahren gegen die strenge Sitte verstieß, wurde
sie von dem Zwergvölkchen eingefangen und kehrte nicht wieder zurück. Sie mußte
die Kinder der Wiwekes im »Ölberge an ihrer Brust nähren. Der Bauern bemächtigte
sich maßloses Entsetzen. Nach Jahren geschah etwas Seltsames. Der „Swinejung"
des heimgesuchten Hofes traf, wenn er die Schweine in das sumpfige Waldgelände
trieb, am Ölberge eine hohe Frau an, deren Mund eiliges Schweigen hütete. Regel-
mäßig aber wanderten ihre Augen nach dem Jungen hinüber und blickten ihn so
verlangend an, als verberge sich hinter diesem stummen Blicke ein süßer Wunsch,
ein stürmisches Verlangen nach Erlösung. Als der Swinejung immer wieder von der
seltsamen Erscheinung erzählte, gab sich der aufmerksam gewordene Bauer nach
Glanebrücke an der holländischen Grenze, um dem Pater von dem Geschehnis zu
berichten und ihn um Rat zu fragen. Der gab ihm die Stola mit und sprach: „Wenn
der Junge die Frau noch einmal erblickt, so werfe er ihr die Stola über die
Schulter!" Und siehe da ! Bald darauf trat die Gebannte abermals vor den
verwunderten Knaben hin, und als er nach der Anordnung des klösterlichen Paters
tat, löste sich der Mund des Weibes, sprach liebliche Worte zu dem Jungen und
ging an seiner Seite dem Hause entgegen, wo man in ihr die Mutter des Jungen
wiedererkannte.
Die weißen Jungfrauen von
Harkorten
Einst wanderte der Schlosser Blasberg mit seinem Sohne in stürmischer
Herbstnacht Spielbrink (Kreis Hagen) zu, wo die Mutter ihrer in Sehnsucht
harrte. Unter heiterem Geplauder kamen sie an den Harkorter Wald. Als der Vater
gleich nach dem Eintritt in den Wald etwas zurückblieb, stellten sich dem Knaben
plötzlich zwei weißgekleidete Jungfrauen in den Weg und fragten ihn: „Wie spät
ist es?" - „Es wird wohl bald Mitternacht sein!" entgegnete angsterfüllt der
Knabe. Während die Frauen darauf weiterschritten und der Junge ihnen nachrief :
„Wartet doch, der Vater kommt gleich, da können wir ja zusammen gehen!", da war
von den Jungfrauen auf einmal nichts mehr zu sehen, und dem Knaben war es, als
ob der Boden sie verschlungen hätte. Am ganzen Leibe zitternd erzählte er dem
Vater das Erlebnis; der führte ihn schnell heim, aber noch in derselben Nacht
fing sein Sohn an zu kränkeln und zu fiebern und war nach drei Tagen eine
Leiche.
Die Ahnfrau im Schlosse Herten
Etwa eine Stunde von Wanne im Kreise Gelsenkirchen liegt in einer muldenförmigen
Vertiefung das altersgraue SchIoß Herten, wo im 12. Jahrhundert das Geschlecht
derer von Herten hauste, stark und kraftvoll wie die Baumriesen, die den
Schloßhof beschatteten, aber auch trotzig und unzugänglich wie die Mauern ihrer
Feste. Ein durch seinen starren, kriegerischen Sinn berüchtigter und
gefürchteter Burginhaber besaß eine einzige, bildhübsche Tochter, an der er
trotz seiner rauhen Sitten nach dem frühen Tode ihrer Mutter mit größter Liebe
hing und ihr jeden Wunsch erfüllte, den er ihr an den Augen absehen konnte.
Nun stand ganz in der Nähe ein zweites SchIoß, aus dem die Edlen von Schwansbell
wohnten, eine Seitenlinie der Grafen von Schwansbell, die ihren Stammsitz an der
Lippe hatten, aber seit dem 14. Jahrhundert verschollen sind. Der damalige
Schloßherr, ein mutiger und kühner Mann, der schon manchen Strauß glücklich
bestanden hatte und im Volksmunde schlichtweg "Kuno Ohnegrusen" genannt
wurde, geriet mit dem Besitzer von Herten wegen Grenzregelungen in tödliche
Feindschaft. Gegenseitige Angriffe auf ihre Burgen wurden mutig und kraftvoll
abgeschlagen, und die beiden begnügten sich schließlich damit, einander soviel
wie möglich an dem beweg= lichen Eigentum zu schaden.
Nun hatte Kuno Ohnegrusen einen Sohn, der trotz aller Feindschaft der Väter in
glühender Liebe zu der Tochter des Grafen von Herten entbrannte; das Verhältnis
wurde von den alten Dienern des Burgfräuleins in jeder Weise begünstigt. Als der
Graf von Herten nun eines Tages daran dachte, seine Tochter zu verheiraten und
ihr einen ihm geeignet dünkenden Freier vorschlug, begegnete er entschiedenem
Widerstande, den er sich nicht zu erklären wußte. Der abgewiesene Freier ruhte
aber nicht eher, als bis er das Geheimnis ergründet und es dem Burggrafen
mitgeteilt hatte, der in maßlosen Zorn geriet und schwur, daß eine Verbindung
mit dem Sohne Kunos niemals erfolgen dürfe. Als sein Töchterlein den
Abgewiesenen trotzdem nicht nehmen wollte, ließ er es in ein schauerliches
Verließ werfen, das mit einem kleinen vergitterten Fenster an die trübe, dunkle
Wasserflut des Schoßteiches grenzte. Nur zwei Bedingungen waren ihr gestellt,
entweder den Freier zu nehmen oder eines qualvollen Hungertodes zu sterben.
Sobald ihr Erkorener von der ihr zugefügten Schmach hörte, wollte er sein Lieb
mit Gewalt aus dem Kerker befreien, fand dabei aber seinen Tod im Burggraben.
Seine Braut starb kurze Zeit darauf an gebrochenem Herzen, wie sie das Ende
ihres Verlobten erfahren hatte. Sie konnte aber keine Ruhe im Tode finden und
sucht sich noch jetzt mit ihrem Geliebten zu vereinigen. Erscheint der
Wochentag, an dem sie starb, so hört man gegen Mitternacht ein Rasseln, Klirren
und Stöhnen in dem Burgverließ und dann ein Plätschern im Wasser.
Nach den schrecklichen Vorgängen verhärtete sich das Herz des Burggrafen noch
mehr, und er wurde ein menschenscheuer, finsterer Mann, der von innerer Unrast
von einer Bosheit zur andern getrieben wurde, wofür er bald den gerechten Lohn
erhielt. Es war am Todestage seiner Tochter, als sich der Graf wieder einmal
ruhelos auf seinem Lager wälzte. Da dröhnten von der kleinen Burgkapelle her
zwölf dumpfe Glockenschläge an sein Ohr. Wie von bösen Geistern gepeitscht,
sprang er auf und eilte an das nahe Schloßfenster. Auf der glitzernden
Wasser- fläche des Schloßteiches stand im geisterhaften Mondschein eine
Frauengestalt mit blutüberströmtem Gewande, in der Hand ein Totengerippe
tragend. Mit geisterhaften Schritten schien sie sich zu nähern, bis sie dicht
vor dem Grafen im Nebel verschwand. Kaum hatte sich der Graf etwas von dem
Schrecken erholt, so erdröhnten die Glocken der Kapelle abermals; diesmal
läuteten sie Sturm. Der Rächer des ermordeten Sohnes war in das Schloß
eingedrungen, und bald erlag der Schloßherr den Schwertern seiner Feinde. Von
jetzt an wurde die Gestalt häufiger gesehen; aber ihr Erscheinen war stets mit
Unglück verbunden, und die Schloßbewohner fürchteten ihr Kommen.
Mit der Zeit schlummerte die Sage von der Ahnfrau ein, und die Bewohner der Burg
erinnerten sich ihrer nur noch dunkel. In einer stürmischen Herbstnacht saß eine
junge Gräfin am Tische und harrte ängstlich der Wiederkehr ihres Gemahls, der
ihr feierlichst versprochen hatte, spätestens heute einzutreffen. Allmählich
schlossen sich ihre Augenlider aber, und sie schlummerte sanft ein. Ein heftiger
Windstoß, der die Fugen des Schlosses erzittern machte, weckte sie aus ihrem
Schlummer auf. Als der Mond einige Augenblicke durch die grauen, bleiernen
Wolken sichtbar wurde, zeigte sich ein seltsames Schauspiel. Langsam wandelte
eine in ein blutrotes Gewand gehüllte Frauengestalt über die Wasserfläche dem
nahen Turme zu und verschwand in dem alten Gemäuer. Eine Ohnmacht umnachtete die
Sinne der jungen Gräfin. Wie lange sie bewußtlos war, wußte sie nicht; beim
Erwachen glaubte sie die Gestalt aber noch zu sehen und klingelte heftig nach
ihrem Kammermädchen. Erst nach geraumer Zeit erschien das Mädchen mit verstörten
Mienen und berichtete ihrer Herrin zitternd, wie die Ahnfrau dem Tor- wächter
und einigen Dienern erschienen wäre. Das Unglück, das die Erscheinung
ankündigte, sollte bald eintreten. Mit dem Morgengrauen stieß der Wächter ins
Horn. Die Leiche des in der Nacht vom Pferde gestürzten Schloßherrn wurde
eingebracht.
Die Ahnsrau ist ihrem Geschlechte noch oft erschienen, um Unglück anzusagen, und
noch heute ist die Sage von ihr im Volke allgemein benannt.
Die weiße Dame Von Schloß Grimberg
Da, wo die Emscher aus ihrem Lause das Gebiet des Ortes Bismarck im Kreise
Gelsenkirchen berührt, liegt das altersgraue Schloß Grimberg, an dem sich die
Heerstraße vom Rheine bis zur Weser durch den Hellweg hinzieht. Die Grafen von
Grintberge, nach denen dar Schloß benannt worden ist, waren gefürchtete
Raubritter, denen die Kaufleute, die die Straße benutzten, den üblichen Tribut
entrichten mußten, wenn sie nicht in dem finsteren Burgverließe schmachten
wollten. Einer der Grafen hatte nur eine Tochter und einen jüngeren Sohn. Die
Tochter war mit einem Ritter von Kniping vermählt, auf den sie vermöge ihrer
wunderbaren Schönheit einen unheimlichen Einfluß ausübte, den sie benutzte, um
ihre verwerflichen Pläne auszuführen. Sie trug nämlich im Sinne, ihren Bruder
auf die Seite zu schaffen, um unbestrittene Erbin der väterlichen Güter zu
werden. Ihr Gemahl ließ sich bestimmen, den kleinen Junker zu rauben, der nach
dem Tode seines Vaters bei einem Großonkel lebte. Durch einen Zufall erfuhr der
Großonkel die seinem Schützlinge drohende Gefahr und konnte den Raub verhindern;
aber das ränkevolle Weib ruhte nicht eher, als bis der treue Hüter durch
Mörderhand gefallen war. Die Freveltat wurde von vertrauten Dienern verraten und
der Ritter von Kniping zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. Wohl suchte er der
Strafe durch die Flucht zu entgehen, fiel aber durch die Kugel der ihn
verfolgenden Schergen. Seine durchlöcherte Rüstung wird noch heute in dem in der
Nähe gelegenen Schlosse Herten aufbewahrt. Als seine Gemahlin sah, daß alles
verloren war, stürzte sie sich in den Schloßgraben. Sie soll bis aus den
heutigen Tag noch keine Ruhe gefunden haben, allnächtlich ihr Unwesen treiben
und schon vielen erschienen sein. Ihr Bruder wuchs zu einem tatkräftigen Manne
heran und stiftete zum Andenken an seine Errettung und als Sühne für das von
seinen Verwandten verübte Verbrechen ein Armenvermächtnis, das noch jetzt
besteht. Daraus werden acht arme, gut beleumundete Personen in einem besonderen
Hause unterhalten und mit allem Nötigen versorgt.
Das Duell im SchIosse zu
Rhede
Vor vielen Jahren lebte auf dem Schlosse zu Rhede im Kreise Borken ein
Edelfräulein, das ob seiner überaus großen Schönheit die Argen unzähliger
Bewerber auf sich zog und darunter auch die eines Brüderpaares, das in heißer
Liebe zu der schönen Jungfrau entbrannt war, ohne gegenseitig von ihrer gleichen
Neigung zu wissen. Die Jungfrau aber spielte mit den Herzen der Ritter. Als
einst an einem Silvesterabend ein grobes Fest im Schlosse gegeben würde, raunte
sie dem einen Bruder heimlich die Worte zu, daß sie im Laufe des kommenden
Jahres denjenigen zum Gemahl nehmen würde, der die Glocke des Schloßturmes im
neuanbrechenden Jahre zuerst läuten würde; gleich darauf sagte sie dasselbe zu
dem andern Bruder.
Als sich die Mitternachtsstunde näherte, stürmten die Brüder die Treppe hinauf
und erfuhren erst jetzt von ihrer Liebe zu der Jungfrau. Es entspann sich unter
ihnen ein heftiger Kampf, der damit endete, daß der eine den andern mit seinem
Dolche erstach. Ein heißer Blutstrom floß über die Treppe und bezeichnete den
Ort der grausigen Tat. Der Mörder wurde durch das Gericht der heiligen Feme zum
Tode durch den Strang verurteilt, die Jungfrau aber verfiel dem Wahnsinn, als
sie erfuhr, was sie durch ihr leichtsinniges Handeln angerichtet hatte.
In der Mitternachtsstunde der Silvesternacht soll sich die Jungfrau in Gestalt
einer weißen Dame im Schlosse zeigen, wie sie damit beschäftigt ist, die noch zu
sehenden Blutspuren von der Treppe zu verwischen.
Die weiße Dame im
Stift Klarenberg
Ein adeliges Fräulein aus dem Stifte Klarenberg im Kreise Hörde liebte den Vogt
aus der Burg. Da sich die beiden nicht ehelichen konnten, die Macht der Liebe
aber so groß war, daß sie nicht voneinander lassen wollten, verriet der Ritter
dem Fräulein eines Tages, daß ein unterirdischer Gang von der Burg zum Stifte
führe, obschon er seinem Herrn, dem Grafen von der Mark, feierlich gelobt hatte,
das Geheimnis für sich zu bewahren. Von nun ab kamen die beiden nächtlicherweile
heimlich zusammen; aber das Verhältnis blieb nicht ohne folgen, und die Dame
wußte sich keinen tat, als ihr neugeborenes Kindlein umzubringen und zu
beseitigen. Als das Verbrechen entdeckt wurde, verurteilte man die Mörderin zu
der qualvollen Strafe, lebendig eingemauert zu werden. Aber ihre Seele fand
keine Ruhe, und noch heute schwebt sie zu mitternächtlicher Stunde ächzend und
stöhnend über die Flure und Treppen des ehrwürdigen Stiftes. Es sind ihr schon
etliche begegnet, die da sagen, es sei eine hohe, schlanke Gestalt in
herabwallendem Sterbehemde. Leider hat noch niemand ge= wagt, sie anzureden, um
zu erfahren, auf welche Weise ihre Erlösung herbeigeführt werden könne.
22. Die verwandelte Nonne bei Medebach
Vor Jahren arbeitete auf dem „Faust", einem Hügel am Nonnenkreuze im Kreise
Brilon ein Bauer auf dem Acker. Da kam plötzlich eine Nonne auf ihn zu und
teilte ihm mit, sie müßte nächtlicherweile umgehen, bis jemand sie erlöse.
Dann fragte sie ihn, ob er sie wohl erlösen wollte. Als der Bauer zitternd
bejahte, versprach sie, ihm in anderer Gestalt wieder zu erscheinen, doch dürfte
er sich nicht fürchten. Tags darauf ackerte der Bauer wieder auf seinem Felde
und schaufelte plötzlich mit dem Pfluge eine Riesenschlange aus der Ackerrille.
Erschreckt sprang er zurück. Da warf die Schlange ihr schimmerndes Gewand ab,
und die Nonne stand wieder vor ihm und klagte weinend, daß jetzt der Baum noch
nicht gepflanzt wäre, aus dessen Holz dereinst die Wiege gezimmert würde, in der
das Kindlein liegen sollte, das sie einst erlösen könnte.
Die strickende Nonne und der schreibende Graf im Kloster zu Gehrden
Im alten Benediktinerinnenkloster zu Gehrden im Kreise Warburg gibt es ein
Spukzimmer. Im sogenannten Götterzimmer muß eine Nonne bis in Ewigkeit stricken;
um Mitternacht hört man das Geklapper der Nadeln. Im Jahre 1230 wurde Gehrden
von einem furchtbaren Brandunglück heim= gesucht, das durch eine Nonne, die sich
mit den Leuten über den Zehnten nicht einigen konnte, angelegt werden sein soll.
Bis auf wenige Häuser brannte das Städtchen nieder. Am Jahrestage des Brandes
soll sich noch jetzt eine grünliche Flamme über Gehrden zeigen, die schon
mancher gesehen haben will, wobei sich allemal ein schreckliches Getöse erhebt.
In einem zweiten Zimmer sitzt ein alter Graf von Oeynhausen, in dessen Besitz
das Kloster kam, und schreibt vor einem Buche. Da kommt eine große Katze mit
glühenden Augen und setzt sich auf das Buch, so daß der Graf nicht mehr
schreiben kann. Das wiederholt sich immer wieder, und durch nichts kann die
Katze vertrieben werden.
Die verwunschene Jungfrau bei
Hönscheid
Einst hütete ein Schäfer bei Hönscheid im Waldeckschen seine Herde. Da kam eine
Jungfrau zu ihm und sagte, er könnte sie wohl erlösen, wenn er wollte; morgen
würde sie wiederkommen, aber in ganz häßlicher Gestalt; dann hätte sie ein Bund
Schlüssel im Munde, die er herausnehmen sollte. Wenn er sie nicht anfassen
wollte, sollte er nur seinen Schäferhaken zu Hilfe nehmen.
Als der Schäfer am anderen Tage hütete, kam die Jungfrau wirklich wieder; aber
sie sah wie ein Faß aus und wälzte sich nur so daher. Da sollte er ihr die
Schlüssel aus dem Munde ziehen; aber der Schäfer hat es nicht gekonnt. Da ist
die Jungfrau mit einem lauten Schrei in die Luft geflogen.
Der Spuk im Elendspaut
In alter Zeit stand auf dem Böhlberge in der Nähe der Hohensyburg im Kreise
Hörde das stattliche Schloß des Grafen von Böhle und schaute weit in das Ruhrtal
hinein. Herrlich wie die Umgebung war auch das Leben im Schlosse. Ein Fest
folgte dem anderen; Sänger bewarben sich um die Huld des schönen Schloßfräuleins,
und Ritter kamen weit her und brachen im Kampf ihre Lanzen, um von der Hand der
Jungfrau den Preis zu empfangen. So schien ein guter Stern über der Burg zu
stehen; aber plötzlich brach das Unglück herein.
Eines Tages kam ein Mann von finsterem, närrischem Aussehen und hielt um
Beschäftigung an. Er wurde als Kutscher
angenommen, erfüllte seine Pflichten treulich und wurde der Leibkutscher des
Schloßfräuleins. An einem sonnigen Sommernachmittage wollte die Jungfrau ihre
Freundin im Schlosse Wandhofen besuchen; die beiden feurigen Rappen waren
ungeduldig geworden, zogen stark an, und der Kutscher versuchte sie vergebens zu
zügeln. Da entfuhr ihm der Fluch: „So fahrt in drei Teufels Namen!" Kaum waren
ihm diese Worte entflohen, als die Pferde zu rasen anfingen, vom Wege abbogen
und die Richtung auf den Elendspaut einschlugen, einen ausgedehnten und
gefährlichen Sumpf. Die Verzweiflung des Fräuleins war groß, seine Hilferufe
wurden wohl vernommen; aber niemand konnte helfen. Der Wagen verschwand vor den
Augen der unglücklichen Eltern im Sumpfe. Seit der Zeit wird der Ort bei Nacht
gemieden, und alte Leute erzählen noch oft, daß ihnen abends in der Nähe des
Elendspauts weiße Gestalten erschienen und sie von Spuk= lichtern in die Irre
geführt worden sind.
Auch das Schloß in Wandhofen ist spurlos verschwunden. Es soll versunken sein;
aber alle hundert Jahre steigt es In einer Vollmondnacht wieder empor, und es
erschallt aus den hell erleuchteten Fenstern fröhliche Musik. Nach einer Stunde
ist der Spuk plötzlich wieder verschwunden.
Der Spuk im Seegrund
Der alte Naphtali war Vorbeter der Judengemeinde in Dringenberg im Greise
Paderborn, lange Jahre, ein eisgraues Männchen, gutherzig und gesellig, auch
konnte man wohl darauf gehen, wenn er etwas sagte. Der ging nun einmal an einem
Samstagabend, wo er sich in Dringenberg etwas verspätet hatte, durch den
Seegrund nach Hause. Die Sterne waren nicht zu sehen; ein schwaches Mondlicht
flog zuweilen übers Feld und flirrte an den Buchen hin. Mit einem Male hörte er
vor dem Walde in der Schlucht, die von rechts her bis an den Weg streift, etwas
klingeln, und zwei Gestalten kamen schräg auf ihn zu, waren aber noch ziemlich
weit. Von den beiden Personen ging ein weißlicher Schein aus, etwa wie von einer
nächtlichen Nelke am Wegrande, als wenn sie ein Leinengewand trügen. Das
Klingeln kam immer näher; gleich mußten sie bei ihm sein und rechts an ihm
vorbei quer über den Weg. Da blieb er stehen und setzte den Stock bedächtig
tastend auf den spärlichen Rasen des Kalksteins, um sich darauf zu stützen. Und
im selben Augenblicke bekam er einen Schauder und wußte sich nicht anders zu
helfen, als daß er anstimmte: Lecho daudi likras kallo. Da wandten sich die
beiden Wanderer, zuerst derjenige, der vorn war, der kleinere, von dem das
Geklingel ausging, dann auch die größere Gestalt hinter ihm. Lautlos, wie sie
gekommen waren, stiegen sie rasch bergan und waren bald im Unterholze
verschwunden. Dem Rabbi wollte es scheinen, als hätte der letztere mit
ausgehobenen Händen vor sich auf der Brust etwas getragen, wie der katholische
Priester, wenn er zu Kranken geht. Er hat häufig davon gesprochen, auch wohl
durchblicken lassen, daß er sich taufen, lassen wolle; aber es ist dabei
geblieben, und er ist darüber hingestorben.
Der Alte in Hagen
In der Stadt Hagen führt eine Straße in der Nähe des Rathauses gegen den
Volmefluß, in der in klaren Mondnächten ein kleiner Mann mit grauem Schlapphute,
wallendem weißen Barte und mit langen greisen Haaren wandert; in der Hand führt
er einen mächtigen Stab. Viele verspätete Wanderer sind schon von der
Erscheinung in Schrecken gesetzt worden, doch weiß man nicht, daß das Gespenst
jemals einem ein Leid getan hätte.
Das Gespenst in der Kirche
Vor vielen Jahren wollte sich ein Mann im Kreise Altena aus Verzweiflung an
einem Brunnen erhängen. Er wurde zwar wieder abgeschnitten, hatte aber schon
soviel Schaden gelitten, daß er nur noch kurze Seit leben konnte. Da er Reue
über seine Tat fühlte, ließ er den Pfarrer bitten, der ihm als einem
Selbstmörder aber den letzten Trost verweigerte, so daß er ohne kirchlichen
Segen verschied.
Von dieser Zeit an weigerte sich der Küster, allein in die Kirche zu gehen, da
ihn ein Gespenst belästigte. Der Pfarrer wollte dem Gerede von dem Gespenst ein
Ende machen und ging darum mit dem Küster in das Gotteshaus. Das Gespenst kam
ihnen entgegen, und ehe der Pfarrer sprechen konnte, erhielt er einen
Faustschlag ins Gesicht, von dem er erblindete.
Von dieser Stunde an ließ sich das Gespenst nicht mehr, blicken.
Hol über !
An der oberen Fähre zu Wetter an der Ruhr hörte der ,Fährmann eines Abends am
jenseitigen Ruhrufer „Holl üöwwer!" rufen und sah dort einen riesigen Mann mit
blauem Kittel und spitzem Hute stehen. Weil er aber in letzter Zeit schon
mehrfach niemanden vorgefunden hatte, wenn er auf Anruf ans andere Ufer gefahren
war, und sich nicht nochmals narren lassen wollte, fragte er, bevor er abstieß :
„Wer ist dal" Doch als Antwort tönte es nur wieder zurück. „Holl üöwwer!"
Verdrießlich erwiderte der Fährmann: „Erst sage, wer du bist, sonst komme ich
nicht!" Als aber auch diesmal der Fremde lediglich „Holl üöwwer!" zurückrief,
war des Fährmanns Geduld zu Ende, und wütend schrie er: „Dann schere dich in
Gottes Namen, wohin du willst; ich hole dich nicht!" Kaum jedoch waren die Worte
„in Gottes Namen" gefallen, da war die Gestalt unter wieherndem Geheul
verschwunden, und der am ganzen Leibe zitternde Fährmann lief spornstreichs nach
Hause und erzählte schaudernd, was ihm begegnet war.
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